Ich habe lange überlegt, ob ich hierzu einen Beitrag verfassen soll, da das Thema für mich mittlerweile schon ein leidiges Thema ist. Aber es ist so wichtig, darüber zu sprechen.
Ich stimme LeGar zu, in einigen Punkten zumindest.
Denn abgesehen davon, dass an seiner Aussage "weil ich menschenleben höher evaluiere als die diese heilige kuh, economy genannt" , absolut nichts zu rütteln gibt, halte ich es für sinnvoll, ein Auge auf die Wirtschaft zu legen, ganz einfach deshalb, weil uns alle das betrifft und die möglichen langfristigen Folgen dieser Krise schon jetzt nichts Gutes verheißen. Es darf nicht sein, dass immer mehr Menschen arbeitslos werden und in die Armut rutschen. Und genau das geschieht, wenn keine Maßnahmen getroffen werden, die der Wirtschaft zu Gute kommen. Der Schutz einzelner (gerade kleinerer) Betriebe ist immens wichtig. Schon alleine deshalb, da ich nicht nur große Firmen im Handel vertreten haben will, sondern auch kleinere Betriebe unterstützen möchte. Brechen diese Betriebe jedoch mehr und mehr weg, weil sie sich nicht über Wasser halten können, haben wir bald keine kleinen Lädchen mit individuellem Angebot mehr, sondern nur noch die ganz großen: delivered by Amazon, made in china. Zudem bedeutet Wirtschaft auch immer, dass da Arbeitnehmer hintendran stehen und die säßen dann bald zu Hauf auf der Straße. Wie unser Sozialsystem das managen soll, ist mir ein Rätsel. Wenn ich dann Stories höre, dass auch im sozialen Bereich haufenweise Sozial Arbeiter entlassen werden, weil den Arbeitgebern das Geld ausgeht, dann frage ich mich, wohin uns das ganze noch führen soll. Daher sehe ich es so, dass es sinnvoll ist, den wirtschaftlichen Aspekt dieser Pandemie eben nicht ganz zu vernachlässigen.
Nun kommt das große aber: Denn nie, nie, niemals darf dieser ökonomische Aspekt mehr wiegen als die körperliche Unversehrtheit des anderen.
Unglaublich viele Menschen leiden, weil sie Weihnachten nicht zusammen verbringen können. Das verstehe ich und es tut mir auch für mich selbst Leid, dass ich meine Oma dieses Jahr nicht viel sehen konnte. Aber wenn ich damit ihr Leben und das Leben eines Fremden schützen kann, dann bleibe ich mit meinem Arsch zu Hause, trage eine Maske und reduziere meine Kontakte. Wir leben im digitalen Zeitalter, Freunde kann ich auch per Videoanruf sehen. Ich verstehe absolut nicht, weshalb so viele Menschen da so ein Geschiss drum machen und behaupten, unsere Grundrechte würden mit Füßen getreten werden.
Hier möchte ich gerne Nico s Aussage: "aber eines verstehe ich nicht. Warum willst du Menschen zu etwas zwingen? Wenn jemand sich schützen. Möchte kann er dies doch tun und das ist doch auch völlig oke." einbringen.
Schaut euch unsere Grundrechte an.
Um nur mal zwei zu nennen: Art. 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.
Und Art. 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Und genau das, meine lieben Freunde, ist es, worum es mMn in dieser Pandemie geht. Sicherlich kann und sollte sich jeder auch selbst schützen. Ohne Frage. Aber gleichzeitig hat jeder von uns den Auftrag, die anderen zu schützen. Es gibt Menschen, und das müssen nicht mal alte sein, auch sehr junge Menschen ohne Vorerkrankungen sind bereits verstorben, die es zu schützen gilt. Das sind so gesehen ALLE Menschen, denn der Virus unterscheidet nicht, ob er nun jung oder alt befällt. Manche überleben, manche sterben. Und es kann jeden treffen. Und der Staat MUSS diese Menschen schützen. WIR als Gesellschaft müssen diese Menschen schützen. Solidarität beginnt dort, wo ich mit meinem eigenverantwortlichen Handeln andere nicht gefährde. Und da liegt es an jedem einzelnen, das umzusetzen. Wer dies nicht tun will, der handelt nicht solidarisch. Und ja, ein gewisser Grad an Egoismus ist gut und gesund, und ja, auf die Straße gehen, demonstrieren, kritisch sein und Maßnahmen zu hinterfragen halte ich für unglaublich wichtig. Es ist gut, dass nicht alle wie brave Schäfchen hinter der Masse hertrotten, sondern dass es Leute gibt die sich trauen, kritisch zu sein. Einige der getroffenen Maßnahmen (z.B das im Sommer KEIN Online-Unterricht für alle Schulen des Landes ermöglicht wurden und dass die Schüler*innen im Herbst und Winter frierend in den Klassenzimmern saßen, oder dass die Gastro seit November dicht machen musste, Friseure aber nicht...) sind absolut kritisch zu betrachten.
Aber auf die Straße gehen, sich mit tausenden von anderen dicht gequetscht zusammenzuschließen, sämtliche Vorlagen missachten und rumzunörgeln, dass unsere Demokratie keine mehr sei, sondern zu einer Diktatur wird (Diggi, du bist grade in ner Pandemie mit Kontakteinschränkungen mit tausenden anderen auf der Straße...?), ist mMn nicht das richtige Mittel hierzu. Das ist nicht solidarisch. Es ist solidarisch gegenüber denen, die da mitlaufen, ja. Aber es ist nicht solidarisch gegenüber den Menschen, die sich seit März sehr stark zurücknehmen, um die Pandemie endlich einzugrenzen und deren Bemühungen so gut wie nichts wert sind, weil sich wöchentlich tausende Leute zusammenschließen und sich nicht an die Vorgaben handeln. Das ist schlichtweg unverantwortlich. Hier geht es (zumindest den meisten) nicht um den Schutz anderer, sondern lediglich um die Durchsetzung der eigenen Bedürfnisse, ohne dass auf die Bedürfnisse anderer geachtet wird. Und von dem was ich bisher gesehen habe, geschieht das auf den Corona-Demos zu Hauf, leider. Die Leute dort radikalisieren sich gegenseitig, in dem sie sich in ihren Ansichten bestärken und pushen, bis dann so etwas passiert wie im August diesen Jahres, nämlich der (fast gelungene) Ansturm auf den Reichstag. Diese Bilder haben mich unglaublich erschüttert. Oder diese Videos, die leider kein Einzelfall sind: Scrollt mal durch zum dritten Video, das fand ich besonders heftig.
Was bewegt die Menschen dazu, dass sie binnen weniger Monate SO dermaßen unzufrieden sind, (und uns in DE geht es im Vergleich zu manch anderen Ländern wirklich noch vergleichsweise gut), dass sie sich derartigen Aktionen anschließen? Und mittendrinn die schwarz-weiss-roten Reichsflaggen. Es ist mir absolut unverständlich, wie jemand aus Frust über die aktuelle Situation es akzeptieren kann, mit Nazis gemeinsam zu demonstrieren. Ja klar, Nazis haben auch ihre eigene Meinung und so weiter. Das muss ich akzeptieren. Aber ich finde menschenverachtendes Gedankengut halt scheiße. Daher finde ich es auch scheiße, wie jemand es akzeptieren kann, mit Menschen die dieses Gedankengut vertreten, gemeinsam auf die Straße zu gehen. Die rechte Szene hat seit Corona einen unglaublichen Zulauf (und die Fallzahlen steigen stetig) und ich schätze mal, das kommt nicht von ungefähr. Diese Demos bieten Rechten die Möglichkeit ihr Gedankengut zu verstreuen und neue Mitglieder für sich zu gewinnen und das halte ich für saumäßig gefährlich. Und auch Verschwörungstheoretiker a la Attila Hildmann finden dort ihren Platz und ihre Anhänger. Ein paar Spinner gibt's überall, klar. Und das ist ja an sich kein Problem, aber auf den Demos finden genau diese Spinner Gehör und somit neue Anhänger. Und somit weiten sich ihre Kreise. Das ist ein hochexplosives Gemisch und es ist uns wohl allen bekannt: Je länger und je mehr du dich in einer gewissen Gruppe, in einem bestimmten Netzwerk aufhältst, desto eher wirst du deren Meinungen und Ansichten selbst vertreten, weil es mit der Zeit "normal" werden. Konformität ist hier das Stichwort. Und die wird dadurch geschürt, dass die Demos von außen unglaublich negative Kritik ernten, was die Menschen innerhalb dieser Demo-Konstellationen wiederum mehr zusammenschweißt. Für mich wirkt es so, als ob da zwei Solidaritäten gegeneinander rennen. Die ganze Gruppe an Menschen, die daheim bleiben und sich an die Vorgaben halten, und auf der anderen Seite sind die, die alles nur für übertrieben und unnötig halten. Jede der Seiten will der jeweils andere ihre Meinung aufzwingen. Die, die gegen Coronamaßnahmen sind, wollen dass der Rest der Bevölkerung sich ihnen anschließt. Die, die pro Corona-Auflagen sind wollen, dass sich die Gegner endlich fügen und mitziehen.Welche Ansicht davon nun die "richtige" oder die "falsche" ist, ist jedem selbst überlassen. Natürlich finden wir, dass unsere eigene Ansicht die richtige ist, und die der anderen die falsche. Und dann fangen wir an, die jeweils andere Seite zu kritisieren, weil wir sie nicht verstehen können.
Es ist ein Teufelskreislauf, wie so vieles in dieser Pandemie.
Es wäre so schön, wenn die Menschen mehr miteinander reden würden, statt nur gegeneinander zu sein. Keine zwei Solidaritäten, sondern eine gemeinsame. Denn letztendlich wollen wir doch alle, dass diese Pandemie so schnell wie möglich endet, damit wir wieder uneingeschränkt das tun können, worauf wir Lust haben. Dazu müssen wir aber lernen, an einem Strang zu ziehen. Teilweise passiert das ja auch, und darüber bin ich froh. Hier im Forum, in diesem Thread beispielsweise. Das finde ich sehr gut. Leider ist das bundesweit oder gar weltweit aber kaum möglich.
Es bleibt mir einfach nur zu hoffen, dass diese Pandemie uns als Bevölkerung nicht vollkommen auseinander treibt und dass wir irgendwann wieder zusammenfinden.