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Zu Zeiten des Internets könnte man im Grunde auch darüber nachdenken, ob der Online-Unterricht nicht ohnehin die logische Konsequenz wäre - Schulen sind ein veraltetes Konzept, das keinerlei Vorteile gegenüber dem Lernen über das Internet bringt. Ganz im Gegenteil ist es sogar deutlich umständlicher, nimmt mehr Zeit außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit ein und kostet auch mehr Geld. Meiner Meinung nach darf Corona hier gerne die Digitalisierung voran treiben und eingestaubte Systeme in Frage stellen.
Das bedingt meiner ansicht aber, dass kids und teens über eine menge selbstdisziplin verfügen, was zB selbststudium betrifft. und das halte ich eher bei 99% der betroffen für fraglich. Immerhin konnte meine schule auf erfahrungen eines programs aufbauen, das mal für home schoolers gedacht war, aber auch für schüler angewandt wird, die aus gesundheitlichen oder anderen gründen nicht am regulären schulunterricht telnehmen können. Das verminderte die das anfängliche chaos, wie man es von anderen schulen mitbekam, bis endlich annährend ein regulär virtueller unterricht stattfinden konnte. Inzwischen sogar live via video. Aber es zeigte sich, dass Schüler zuhause immernoch mehr ablenkung haben auch wenn sie im grunde schon supervised sind. Ich denke, das war besonders hart für die lehrer, da ihre autorität nur halb soviel fruchtete wie sonst.
Wenigstens kam dies bis jetzt nicht in den abschlussklassen vor. Oder während der college kurse.
Da stimme ich dir voll und ganz zu - selbst viele Erwachsene, die gerade im Homeoffice arbeiten und das nicht gewöhnt sind, dürften weniger produktiv sein, weil sie die Ablenkungen nicht gewöhnt sind, die das zu Hause eben so bietet.
Das ist für mich aber grundsätzlich nicht ein Grund dafür, dass man eben nicht von zu Hause aus arbeiten oder lernen sollte, sondern eher ein Zeichen dafür, dass Selbstdisziplin auch ein wichtiger Bereich ist, den man evtl. lernen sollte - gerade als Schüler, die potenziell einmal im normalen Homeoffice landen oder sogar selbstständig werden, sehe ich eigentlich nicht, wieso man auf Büro-Arbeit diszipliniert werden soll, was ja die einzige Form der Arbeit ist, die einem regulären Schul-Alltag entspricht.
Alles anzeigenIch sehe das ganz ähnlich, Selbstdisziplinierung hatte ich nur während der Prüfungsphase fürs Fachabi.
Für Klassenarbeiten oder Tests, oder gar freiwillige Lektüre von Schulstoff war ich nie wirklich motiviert.
Wie denn auch? Wenn du von 8 bis 15h in der Schule bist, dann eine halbe Stunde bis Stunde Heimweg hast und dann noch Aufgaben für den kommenden Tag erledigen musst, ist da nicht viel Energie um sich dann auch noch zusätzlichem Lernstoff zu widmen. Da machst du das, was Priorität hat und was nötig ist, Selbststudium Fehlanzeige.
Selbstständiges Lernen habe ich erst durchs Studium erfahren und das ist echt hart für mich, weil es da recht ähnlich aussieht, wie in der Schule: von morgens bis 18h an der Uni, an manchen Tagen frei, an denen du aber das machst, was halt so ansteht, dann irgendwann innerhalb einer Woche mehrere Texte von 10-90 Seiten lesen, Vorlesungen nacharbeiten, Seminarinhalte vorbereiten, im besten Fall noch Referate vorbereiten. Dazu noch 1x pro Monat 3 Tage Ausbildung und 9 Stunden die Woche arbeiten. Wann ist da bitte Zeit, sich ernsthaft in die Bib zu setzen und noch weiterführende Literatur zu durchforsten? Vor allem, wenn du eh weißt, dass der Prof dir in der Vorlesung alles nochmal erklärt? Aber jammern hilft nix, ich MUSS es irgendwie schaffen, damit ich den Anschluss nicht verpasse. Das hat die ganze Zeit mehr schlecht als recht geklappt, aber meine Noten halten sich stabil im Einserbereich.
Erst durch Corona hat meine Uni digitale Treffen und alle Lehrinhalte/Aufgaben zur Verfügung gestellt und siehe da: ich habe das Gefühl, ich mich mal wirklich ernsthaft mit Themen auseinander gesetzt, die NICHT benotet werden. Einfach, weil ich dazu die Zeit habe und auch, weil ich mir alles frei einteilen kann, wie es mir passt. Das ist total genial.
Ich schaffe es momentan, mich nahezu jeden Tag hinzusetzen, Texte zu lesen, mir die Dinge selbst zu erklären und alle Aufgaben zu bearbeiten, die auch gestellt wurden. Eigentlich genau so sollte Lernen funktionieren. Zwar in einem vorgegebenen Rahmen, aber mit einer relativ freien Zeiteinteilung und der Möglichkeit, den Stoff im eigenen Tempo zu verstehen.
Daher bin ich da ganz bei dir Leif, das Schulsystem hat schon lange Zeit einen Überholungsbedarf und die Fähigkeit selbstständig zu arbeiten steht absolut im Hintergrund und wird vernachlässigt, was letztendlich den Schülern zum Verhängnis wird.
Eine Mischung aus Schulunterricht in Klassen zur Förderung und Entwicklung von sozialen Kompetenzen und eigenständigem Lernen, dass aber gut betreut wird wäre halt echt ein Träumchen.
Auch was die Förderung von sozialen Kompetenzen angeht, halte ich das Internet für förderlicher als die Einrichtung Schule - auch wenn das erstmal absurd klingen könnte.
Wenn ich an Schule denke, dann habe ich absolut nicht das Bild im Kopf, dass sich Schüler beisammen setzen und die gemeinsame Zeit dafür nutzen, sich gegenseitig beim Lernen zu unterstützen oder sonstwie konstruktiv zusammen zu arbeiten. Die meiste Zeit über sitzt man stumm im selben Raum und wird getadelt, wenn man doch Mal miteinander spricht - und sobald endlich Pause ist, beschäftigen sich doch Alle möglichst schnell mit spaßigeren Dingen als dem Stoff, den der olle Lehrer da vorne abgespult hat. Die 'sozialste' Komponente in Schulen sehe ich darin, dass es der einzige Ort ist, an dem man sich gegenseitig das Leben schwer machen kann, ohne sich entziehen zu können - das betrifft sowohl Lehrer, als auch Schüler.
Über das Internet sieht das aber wieder ganz anders aus - dort wäre man einigermaßen anonym, sodass es schonmal weniger Zankerei wegen Oberflächlichkeiten geben würde; man wäre viel weiter vernetzt, sodass man keinen Klassenverband aus 20 Leuten zum Lernen hätte, sondern über das ganze Bundesland/Land/weltweit mit Schülern über die selben Themen sprechen könnte. Und man müsste auch noch ernsthaft lernen, sozial kompetent zu sein, weil sich Jeder einfach entziehen könnte, wenn man sich aufführt wie ne offene Hose. Gerade letzteres halte ich für lange überfällig, denn gerade im Internet sieht man aktuell, wie viel (oder wenig) Sozialkompetenz Jugendliche anwenden, sobald ihnen keine regulierende Instanz auf die Finger guckt.
Alles anzeigenIch denke, das ist eine ziemlich schulabhängige und demnach auch individuelle Sache. Ich hab daher auch nur meine eigenen Erfahrungswerte, hab mich im Rahmen des Studiums noch nicht wirklich mit Schulpädagogik etc auseinandergesetzt.
Ich hatte auch keine sonderlich schöne Schulzeit - hab die Schule gehasst :D-, erinnere mich aber an viele Pausen, in denen wir Kinder zusammen auf dem Hof gespielt haben oder später, in der Realschule, zusammen saßen und miteinander quatschten. Aus meiner eigenen Erfahrung resultierend halte ich diese Art des Zusammenseins für sehr wichtig, da eben dadurch die sozialen Kompetenzen geschult und ein gemeinsames Miteinander, ein Gemeinschaftsgefühl konstruiert wird. Außer den Leuten aus der Schule hatte ich nahezu keine sozialen Kontakte, da meine Eltern in dieser Hinsicht eeecht verkackt haben. Ich war schon als Kind super ruhig und eher zurückgezogen, wäre ich nicht täglich in der Schule gewesen, dann hätte ich teilweise 2-3 Wochen lang niemanden außer meiner Familie gesehen. In den ersten 3 Jahren der Realschule hatten wir auch "Arbeitslehre" oder "Hauswirtschaftslehre". Wir haben dann gemeinsam mit Materialen wie Holz, Ton, Metall, Stoffen etc gearbeitet und kleine Projekte gestaltet. In Hauswirtschaftslehre haben die Schüler*innen miteinander gekocht und gemeinsam gegessen. Ich weiß nicht, ob es das heute immer noch gibt. Ich glaube schon.
Was wäre dann außerdem mit Bildungsprogrammen?
Wir hatten über 4 Jahre ein wöchentliches ein Austauschprogramm mit französischen Schülern und wir haben uns abwechselnd in DE und in FR besucht, damit jeder mal etwas vom Schulalltag eines anderen Landes mitbekommt und die Sprachkenntnisse geschult werden. Das wäre digital schlichtweg nicht möglich.
Und was wäre mit Klassenfahrten oder Wandertagen?
Kinder, die absolut keinen Bezug zu einander haben, würde ich nicht einfach so mal auf Klassenfahrt für eine Woche schicken, für viele ist das aber der einzige Urlaub im Jahr.
Genau diese persönlichen Erfahrungen machen es für mich unabdingbar, dass Kinder gemeinsam mit anderen Kindern lernen sollten, auch face to face und ohne Bildschirm. Daher bin ich der Ansicht, dass es einen gesunden Mittelweg geben sollte: Einerseits die digitale Lehre, die Selbstdisziplin, eigenständiges Arbeiten und einen vernünftigen Umgang mit Technik und Medien vermitteln soll, (Medienkompetenz) aber auch gemeinsame Präsenzkurse, in denen man sich mit anderen Schülern treffen und austauschen kann. Das ginge auch wunderbar, wenn man gemeinsam an digitalen Projekten arbeiten würde: Gemeinsame Schul-Podcasts, gemeinsame Fotocollagen erstellen, gemeinsam Fotografieren und Bilder bearbeiten....es gibt soooo viele tolle Möglichkeiten, digitale Lehre und Präsenzlehre miteinander zu verknüpfen. Dass die momentanen Curricula für den Popo sind, dass steht außer Frage. Da läuft einiges schief, was so nicht schief laufen sollte. Lernen nach Humboldt komplett verfehlt. Schule, setz dich , wegen Verfehlung des Sinns 6 - !
Und ja, das stimmt, leider kann die Schule ein Ort von negativen Erfahrungen sein, und in manchen Fällen ist das wirklich extrem und furchtbar. Das ist ein Problem, dass in der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik auch schon lange diskutiert wird, die Maßnahmen zur Vermeidung von Mobbing in Schulen sind teilweise echt zum kotzen, weil in diesem Bereich trotz großer Mühen zu wenig passiert und die Dunkelziffer der Mobbingfälle wahrscheinlich ziemlich hoch ist.
Aber wie du schon sagtest, im Internet sieht das ganze leider auch nicht besser aus...da haben junge Menschen aber den Vorteil der
Anonymität, jemanden im Web zu verletzten geht meist schneller und ist damit einfacher, als jemanden auf dem Schulhof zu schikanieren.
Ich empfinde dein Argument diesbezüglich nicht ganz ausgereift, weil es sowohl im RL als auch im Web massive Schwierigkeiten gibt, die aber meiner Meinung nach nicht behoben werden können, wenn Jugendliche sich (sowohl als Täter wie auch als Opfer) noch anonymer und damit noch sicherer fühlen.
Der einzige Vorteil, den ich hier wirklich sehe, ist die Tatsache, dass Mobbing im Web "nur" mental trifft und mit keinen körperlichen Verletzungen einher geht und ein gefährdeter Schüler vielleicht auch eher den Mut aufbringt, die Person zu blocken/zu kontern/sich jemandem anzuvertrauen, weil dann die Hemmschwelle nicht mehr so hoch ist.
Im Umkehrschluss haben die Jugendlichen, die in der Schule sitzen und non-stop am Handy kleben genau so wenig Sozialkompetenz wie die Schüler, die den ganzen Tag vorm Laptop sitzen und im Alleingang Aufgaben bearbeiten. Nur das Zweiteren eine potentielle Möglichkeit zur Schärfung ihrer (sozialen) Sinne durch rein digitales Lernen eher verwährt würde.
BTW, ich liebe es, mit dir Sachen auszudiskutieren und verschiedene Perspektiven zu beleuchten. *_*
Falls wir da noch weiterquatschen wollen, sollten wir aber vielleicht ein neues Thema eröffnen.
Das ganze Gespräch nahm hier seinen Anfang und kann in diesem Thema gerne fortgesetzt werden