Wer von euch – mal Hand auf's Herz - kennt sie denn noch wirklich, die schwule Geschichte, den Kampf um Gleichheit und Gerechtigkeit.
1897 - 1945
Die erste Homosexuellen-Vereinigung der Welt entsteht: Magnus Hirschfeld gründet 1897 das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee (WHK). Das vorrangige Ziel des WHK ist die Abschaffung des Paragrafen 175, der 1871 in Kraft gesetzt wurde und folgendermaßen lautete: "Die widernatürliche Unzucht, welche Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen."
Der Begriff Homosexualität entstand erst im 19. Jahrhundert. Zuvor wurde Homosexualität bei Frauen und bei Männern, sowie Sex mit Tieren, als "Unkeuschheit wider die Natur" oder als "Sodomie" (nach der biblischen Stadt Sodom, die wegen der unzüchtigen Lebensweise der Bewohner von Gott vernichtet wurde) bezeichnet. Weibliche Homosexualität wurde nur in seltensten Fällen verfolgt und im Paragrafen 175 nicht erwähnt.
Das WHK gibt zwischen 1899 und 1923 ein "Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen" heraus, in dem aktuelle Forschungsergebnisse zur Homosexualität veröffentlicht werden. Die Schriften von Heinrich Ulrichs, der bereits 1884 gefordert hatte, dass Homo- und Heterosexualität als gleichwertige Foren menschlichen Verhaltens anerkannt werden und erstmals die These aufgestellt hatte, dass Homosexualität angeboren sei, werden neu aufgelegt.
Das WHK scheitert zwar vorläufig an der Abschaffung des § 175, aber 1905 hat es bereits fünftausend Mitglieder, es werden Geschäftsstellen in vielen deutschen Städten, in Österreich, England, Holland und den USA gegründet. Es entstehen weitere Gruppierungen, die ähnliche Ziele verfolgen - wie z.B. der "Bund für Menschenrechte".
1919 gründet Hirschfeld das "Institut für Sexualforschung", das sich nicht nur um Schwule und Lesben kümmert, sondern auch allgemeine Sexualaufklärung betreibt, und dessen Kurse und Vorträge vor allem bei Arbeitern sehr populär werden. Hirschfelds Initiativen entwickeln sich zu einer sexualreformerischen Bewegung, die die völlige Gleichstellung der Frau, Freigabe von Verhütungsmitteln, das Recht auf Abtreibung, Sexualaufklärung und selbstverständlich die Straflosigkeit von Homosexualität fordert.
1923 findet in Kassel die erste Homosexuellen-Demonstration überhaupt statt, mit der Forderung nach der Abschaffung des Paragrafen 175.
Nachdem 1929 der Strafrechtsausschuss des Reichstages für eine Streichung des §175 stimmt, scheint das WHK seine Ziele erreicht zu haben, doch durch die politische Entwicklung der folgenden Jahre und nationalsozialistischer Hetzkampagnen gegen Hirschfeld und seine Bewegung gelangt der §175 nicht mehr zur Behandlung vor dem Parlament.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten werden im März 1933 alle Homosexuellen-Organisationen verboten, das Institut für Sexualforschung wird zerschlagen und die Bücher des WHK werden verbrannt.
Bis 1945 werden tausende Menschen nach dem verschärften Paragrafen 175 verurteilt und landen in Konzentrationslagern, gekennzeichnet durch den "Rosa Winkel", ein auf dem Kopf stehendes Dreieck. Kaum einer der Verurteilten überlebt die Nazi-Herrschaft und durch diese systematische Vernichtung der Homosexuellen ist auch die erste Schwulen- und Lesbenbewegung am Ende.
1948
Der amerikanische Biologe Alfred C. Kinsey beginnt 1938 mit Studien zur Sexualität. 1948 veröffentlicht er die Ergebnisse in seinem Werk "Das sexuelle Verhalten des Mannes". 1953 folgt "Das sexuelle Verhalten der Frau". Kinsey entwickelt eine Skala sexuellen Verhaltens, die nicht einfach nur zwischen Homo- und Heterosexualität unterscheidet, sondern eher fließende Übergänge vorsieht. Der sogenannte "Kinsey-Report" stellt fest, dass 37% aller Männer und bis zu 20% aller Frauen homosexuellen Kontakt hatten. "Überwiegend" homosexuellen Geschlechtsverkehr hatten 10% der Männer und 4% der Frauen. Bei den Männern, die sich selbst als schwul bezeichnen, hatten bis zu 79% auch Sex mit wenigstens einer Frau gehabt und die Mehrheit der lesbischen Frauen hatten Sex mit Männern.
1969 - 1977
Nachdem sich in den stockkonservativen Fünfzigern und bis Anfang der sechziger Jahre in den USA in bezug auf Homosexuellenrechte nichts Nennenswertes getan hatte und nur kleine Gruppen Homosexueller brave, aber wirkungslose Bittschriften verfassten, begann Mitte der Sechziger ein politischer Wandel: Studentenrevolte, Kampf der Schwarzen für ihre Bürgerechte, Anti-Vietnam-Demonstrationen.
Am 28. Juni 1969 findet in der Schwulenbar "Stonewall Inn" in der Christopher Street in New York eine brutale polizeiliche Razzia statt, wie sie beinahe täglich in Homosexuellen-Kneipen vorgenommen wird. Doch an diesem Tag beginnen die "verschüchterten Homos", die sich bislang nie gegen die polizeilichen Übergriffe, die Gewalt, Demütigungen und Verhaftungen zur Wehr gesetzt hatten, Widerstand zu leisten. Es kommt zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei, die Nachricht vom Widerstand verbreitet sich in der Umgebung, eine Straßenschlacht entsteht, an der 500 Menschen teilnehmen. Diese "Schlacht", die lediglich fünfundvierzig Minuten dauert, bricht das Eis, Schwule und Lesben sind nicht mehr die hilflosen Opfer - im ganzen Land bilden sich noch im selben Jahr zahlreiche schwul-lesbische Gruppen. Zum Gedenken an die historischen Ereignisse in der Christopher-Street finden seit 1970 alljährlich im Juni/Juli Demonstrationen für die Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung homosexueller Menschen statt - der Christopher-Street-Day ist geboren.
1970 wird in New York die Gay Liberation Front gegründet - die bis heute weltweit als Vorbild für viele schwul-lesbische Bürgerrechtsgruppen dient. Die schwul-lesbischen Aktionsgruppen haben in den folgenden Jahren im Kampf um mehr Rechte ein ständiges Auf und Ab hinzunehmen -bis sie schließlich in den neunziger Jahren zur größten Bürgerrechts-Bewegung wurden.
1971 bringt der schwule Berliner Regisseur Rosa von Praunheim den Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" in die Kinos. Angeregt durch den Film entstehen nun auch in ganz Deutschland Gruppen, die sich für schwul-lesbische Rechte einsetzen.
1974 streicht die US-Psychiater-Vereinigung Homosexualität aus der offiziellen Liste der Krankheiten.
1977 wird Harvey Milk als erster offen schwul lebender Mensch in ein politisches Amt gewählt - er wird Stadtrat in San Francisco. In vielen Städten der USA gehen im Juni 1977 mehr als eine halbe Million Menschen zum Gay-Lesbian-Pride-Day auf die Straße.
Teil II folgt...