Duma will Schwule aus der Öffentlichkeit verbannen
Moskauer Kreml: Russische Führung zeigt Sympathie für Initiative
Fast 20 Jahre nach Abschaffung des
Homosexualitätsverbots steht in St. Petersburg und anderen russischen
Städten unter Strafe, öffentlich über Schwule zu reden. Nun soll die
Staatsduma sogar ein landesweites Gesetz gegen "Schwulenpropaganda"
beschließen.
Moskau - Liberale Kräfte und Menschenrechtler in Russland sind in
Aufruhr: Öffentliches Reden über Homosexualität soll künftig überall im
größten Land der Erde unter Strafe gestellt werden. Bisher haben die Touristenmetropole St. Petersburg
und einige andere Städte ein Gesetz gegen sogenannte Schwulenpropaganda
erlassen, um, wie es heißt, Kinder und Jugendliche zu schützen. Nun
liegt der Staatsduma ein umstrittener Gesetzentwurf für das ganze Land
vor.
Als "Hassgesetz" und "Weg ins finsterste Mittelalter" brandmarkt der
menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck,
die Initiative der von Regierungschef Wladimir Putin geführten Partei
Einiges Russland. Laut Gesetzentwurf soll auch die Aufklärung über
Homo-, Bi- und Transsexualität mit Geldstrafen geahndet werden. Kritiker
warnen, dass dadurch zum Beispiel die Aids-Vorsorge erschwert werde.
In St. Petersburg
wischt der Abgeordnete Witalij Milonow von der Putin-Partei solche
Kritik beiseite. Als Speerspitze der Initiative wirft er etwa der
deutschen Band Rammstein "Schwulenpropaganda" vor. Und er warnt schon
einmal vorsorglich Popstar Madonna mit Blick auf ihr im Sommer geplantes
Konzert vor Gesetzesbruch. Auch Filme, Musikvideos, Bücher und
Zeitschriften mit homosexuellen Inhalten sowie die Regenbogenfahne als
Symbol der Schwulenbewegung gelten als verboten.
Außenminister Lawrow zeigt Sympathie für Gesetz
Russlands Führung signalisiert bereits seit längerem Rückendeckung
für die Initiative auch in der Staatsduma. Unmittelbar vor einem Treffen
mit dem mit einem Mann verheirateten Bundesaußenminister Guido
Westerwelle (FDP) vor einer Woche in Berlin sagte der russische
Außenminister Sergej Lawrow in einem Interview, dass Russland das Recht haben müsse, die Gesellschaft vor Homosexuellen zu schützen.
Allerdings sieht der bekennende schwule Bundestagsabgeordnete Beck
darin einen Verstoß gegen die Pflichten zur Einhaltung der
Menschenrechte, die sich Russland als Europaratsmitglied auferlegt habe.
Er fordert eine klare Reaktion der Bundesregierung. Beck hatte selbst
immer wieder an verbotenen und letztlich gewaltsam aufgelösten Schwulen-
und Lesbenkundgebungen in Moskau teilgenommen.
Zwar hatte Deutschland, wie aus einer Kleinen Anfrage der Grünen im
Bundestag hervorgeht, das Petersburger Gesetzesvorhaben kritisiert.
Traditionell reagieren russische Politiker aber ablehnend auf solche oft
als Belehrung empfundenen Appelle. Unter Russlands Schwulen und Lesben
herrscht längst Panik. Viele denken ans Auswandern. Straßenproteste
gegen das Gesetz sind verboten.
Kirche lobt Initiative
Aktivisten mit zugeklebten Mündern haben ein Video gedreht, in dem
sie zur Musik des russischen Komponisten Peter Tschaikowski, der
homosexuell war, Reisende zum Boykott der Touristenstadt St. Petersburg
aufrufen. Viele Gegner des Gesetzes stört besonders, dass Homosexuelle
mit Kinderschändern auf eine Stufe gestellt und damit zu Straftätern
gemacht werden.
Voll des Lobes dagegen ist die russisch-orthodoxe Kirche. Sie sieht
durch das Gesetz einen besseren Schutz der Gesellschaft vor
"unmoralischen westlichen Einflüssen" gewährleistet. Zu einem "Vorposten
der Sittlichkeit" solle St. Petersburg jetzt werden, zu einem Pilgerort
für alle "guten Christen".
Zwar wird Homosexualität in der russischen Gesellschaft auch schon
bisher weitgehend tabuisiert. Wer in Russland schwul ist, lebt in
ständiger Angst vor Ausgrenzung und Gewalt. Es gilt als offenes
Geheimnis, dass viele Showstars und Politiker Scheinehen eingehen, um
ihr Sexualleben zu verschleiern. Doch das neue "Gesetz gegen
Homosexuellen-Propaganda", das auch in Rjasan und Archangelsk gilt,
sehen viele als Vorboten einer neuen Unterdrückung von Minderheiten.
Die Kreml-kritische russische Politikzeitschrift "The New Times"
sprach von einer Rückkehr in die repressiven Zeiten der Sowjetunion.
1993 hatte Russland das Verbot der Homosexualität aus dem
Strafgesetzbuch gestrichen. "Der Eiserne Vorhang funktioniert noch - mit
jedem solchen Gesetzesprojekt senkt er sich ein bisschen mehr", heißt
es in einem Kommentar.
quelle http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,824655,00.html